Lerne Abraham kennen

©Pamela Kerpius/Migrants of the Mediterranean

 

Von:
Pamela Kerpius

Aufgenommen am
21. Juni 2021

Veröffentlicht am
30. August 2021



Lerne Abraham kennen.

28 Jahre alt und aus Nigeria.

Um nach Europa zu kommen, durchquerte er drei Länder: Nigeria, Niger und das gefährlichste von allen, Libyen.

Seine Reise dauerte anderthalb Jahre.

Er fuhr im Februar 2015 in einem Auto Richtung Norden. Es gab 10 Sitze, aber 25 Passagiere. Sie fuhren acht Stunden. Er hatte keine Dokumente, also hatte er Glück als er unbemerkt an den Grenzkontrollen vorbeikam. An einem Verbindungspunkt kurz vor Niger wechselte er auf ein Motorrad und zusammen mit einer anderen Person fuhr er eine Stunde bis sie in dem Dorf ankamen. 

In diesem Dorf lebte er in einem Verbindungshaus, in dem sich mehr als 100 Leute aufhielten. Dort blieb er einige Tage bevor seine Reise weiterging.

Er reise mit einem Transporter nach Agadez im Niger, wo er zusammen mit 200-300 anderen Leuten drei Tage in einem Camp ausharrte bis es Zeit zur Weiterfahrt war.

Abraham durchquerte die Saharawüste auf der Rückfläche eines Transporters mit 30 anderen Leuten, unter ihnen acht Frauen. Ihnen stand kein Wasser zur Verfügung bis auf einige Punkte in der Wüste, wo sie Quellwasser trinken konnten. “Was soll man machen?” sagte Abraham zu den toten Körpern, die er in den Quellen liegen sah und die das Wasser kontaminierten. Es gab nichts anderes zu trinken, wenn man überleben wollte.

Er sah einen ganzen Transporter, der mit 20-30 Leuten beladen war, die alle wegen eines Unfalls tot waren. Es gab keine Möglichkeit anzuhalten, “Du machst einfach weiter. Du kannst nicht zurückschauen,” sagt er. Er sah Hügel aus Sand, Stein und noch mehr Tote. Er hörte Geister. Stimmen, die nach Hilfe riefen. Ein nigerianischer Mann namens John, er war 25 oder 26 Jahre alt, fiel aus dem Transporter und starb. Die Fahrt durch die Wüste dauerte drei Tage.

„Du rennst einfach weiter.”

Er erreichte Sabha in Libyen und blieb dort für vier Monate in einem Gefängnisgebäude gemeinsam mit 150 anderen Leute. Jeden Tag erhielten sie ein Stück Brot zu essen und eine Flasche Leitungswasser zum trinken. Innen wurden Frauen vergewaltigt. Sie wurden zur Prostitution gezwungen. Männer wurden in die Skalverei verkauft. Ihre Arbeitskraft wurde auf den Farmen genutzt.

Eine Nacht konnte er zusammen mit acht anderen Leuten durch ein Loch im Duschraum entkommen. Die Wächter sahen sie und eröffneten das Feuer. Drei überlebten. “Du rennst einfach weiter,” sagte Abraham.

Der nächste Ort, an dem er blieb, war ein Haus, in dem er gegen seinen Willen vier Monate festgehalten wurde. Er hatte keine Familie, die für Geld erpresst werden konnte. Er konnte entkommen, wurde wieder gefangen genommen und blieb dann nochmal einen Monat unter ähnlichen Bedingungen in einem anderen Haus. Er durfte nur für die Feldarbeit, zu der er gezwungen wurde, das Haus verlassen.

Im Gegenzug für seine Arbeitskraft wurde er nach Tripolis gefahren, wo er etwa drei bis fünf Monate in einem Haus blieb, das mehrere Etagen hatte. Er schlief im Sitzen. Es gab eine “pausenlose Melodie der Gewehre,” sagte er. Er musste die Unsicherheit der Stadt navigieren, um Essen zu finden - auch wenn er in dem Haus, wo er Feld- und Bauarbeit verrichtete, eine Flasche Coca-Cola und ein Stück Brot fand.

Er wechselte in ein Küstencamp in Sabratha, wo er auf dem Boden und den Elementen ausgesetzt schlief. Es gab dort zwar ein Haus, aber bereits 150 Leute waren dort drin. Es war zu überfüllt.

Abraham überquerte das Mittelmeer um Mitternacht oder ein Uhr morgens in einem Schlauchboot mit 110 anderen Leuten. Unter ihnen waren fünf Frauen, drei von ihnen waren schwanger und es gab zwei Babies. Er war stundenlang auf dem Meer. Er beobachtete den Sonnenaufgang. Es war der 1. Oktober 2016. Leute auf dem Boot bekamen Benzinverbrennungen. Diese entstanden, wenn die Mischung aus Meerwasser und Benzin des Motors ihre Haut berührte und diese verätzte.

Er wurde gerettet und alle, die mit ihm waren, überlebten. Zwei weitere Boote mit Leute wurden nach ihrem aus dem Mittelmeer gerettet und er landete am 10. Oktober 2016 auf Sizilien in Italien.

Er ist heute 34 Jahre alt und lebt in Middelburg in den Niederlanden, wo wir seine Geschichte am 21. Juni 2021 aufgenommen haben.

Abraham ist ein wunderbarer Mensch.